Am 11. Juni fand unsere nächste Veranstaltung in der Reihe Grün gegen Rechts statt, diesmal (digital) in Spandau. Diesmal waren als Gäste auf unserem Podium dabei: Kati Becker vom Berliner Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle, Anne Sauer vom Spandauer Register, ein Vertreter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin, Gollaleh Ahmadi, Fraktionsvorsitzende der Grünen-Fraktion in der Spandauer BVV sowie als Vertreterin der Grünen Jugend Spandau Marlene Jahn. Als Schwerpunkt in Spandau beschäftigte uns der rechtsextreme Heß-Marsch, der in den vergangenen Jahren mehrmals durch Spandau ziehen wollte.
Zu Beginn stellte Kati Becker noch einmal die grundsätzliche Arbeit der Registerstellen in Berlin vor: In jedem Bezirk gibt es ein Register, bei dem diskriminierende und rechtsextreme Vorfälle gemeldet werden können – von Propaganda-Stickern bis hin zu körperlichen Gewalttaten. Die Registerstellen sind somit auf Meldungen der Vorfälle aus der Stadtgesellschaft angewiesen. Da die Dunkelziffer auf diesem Feld besonders hoch ist, ist wichtig, dass die Registerstellen bekannt gemacht werden.
Im Anschluss an diese generelle Einführung stellte Anne Sauer die Zahlen der Registerstelle in Spandau für 2019 vor. Dort waren im letzten Jahr die meisten der gemeldeten Fälle rassistisch motiviert – im Vergleich zum Vorjahr gab es bei der Gesamtanzahl der gemeldeten Fälle einen Anstieg um 20 Prozent. Zum Heß-Marsch berichtete Sauer noch einmal einführend aus dem Jahr 2017, wo die rechte Szene zum 30 Todestag des Hitler-Stellvertreters nach Spandau mobilisierte, wo Heß 1987 im Kriegsverbrechergefängnis starb. Durch diesen Ort ist Spandau immer wieder Anlaufort der rechten Szene.
Weiter ging es mit einem Bericht der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR). Diese berät zu Rechtsextremismus und beobachtet aktuelle Entwicklungen der Szene – insofern konnten auch hier einige Erfahrungen mit dem Heß-Marsch gesammelt werden: Gegen diesen wurde in den letzten Jahren jeweils durch ein breites Bündnis zur Gegendemonstration mobilisiert. Vor allem 2017 und 2018 gab es vielfältige Proteste in mehreren Teilen Berlins. 2019 fiel der Heß-Marsch aus, trotzdem gab es eine ganze Reihe zivilgesellschaftlicher Kundgebungen, die über die ganze Stadt verteilt waren. Bisher scheint es, als würde der Heß-Marsch auch in diesem Jahr nicht stattfinden, die Entwicklungen bleiben aber abzuwarten.
Weiterhin berichtete die MBR von der Debatte um die Raumvergabe in der Zitadelle Spandau, die einen wichtigen und zentralen Ort im Bezirk darstellt. Hier wurde zunächst die Raumvergabe an Parteien per BVV-Beschluss eingeschränkt. Trotzdem ist es zum Teil zu Veranstaltungen rechter Akteur*innen gekommen, wie z.B. rechter Zeitschriften & einer rechten Stiftung. Gleichzeitig gab es nach einem Konzert der linken Band Feine Sahne Fischfilet Debatten zu deren Auftritt auf der Zitadelle. Interessant und von aktueller Relevanz in diesem Bereich ist, dass für 2021 ein Konzert des Verschwörungsideologen Xavier Naidoo auf der Zitadelle geplant ist.
Gollaleh Ahmadi, Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der BVV Spandau, berichtete von der überparteilichen Zusammenarbeit im Bezirk: Nach dem Heß-Marsch 2017 hatten sich hier alle demokratischen Parteien in Spandau zusammengesetzt und überlegt, wie zukünftige rechtsextreme Aufmärsche in Spandau verhindert werden könnten. Im Ergebnis wurde ein „Fest der Demokratie“ ins Leben gerufen, das 2018 direkt vor dem ehemaligen Kriegsverbrechergefängnis gefeiert wurde und so die Kundgebung der Rechtsextremen dort verhinderte. Zur Nutzung der Zitadelle erzählte sie, dass dort Veranstaltungen der AfD immer stärker zunahmen, und die anderen BVV-Fraktionen daraufhin den Kompromiss vereinbarten, Parteiveranstaltungen nur noch abends zu erlauben. So sollten unter anderem Parteitage auf der Zitadelle verhindert werden. Gleichzeitig sind die Fraktionen mit dem Kompromiss nicht vollends zufrieden, da die Zitadelle als zentraler Ort eigentlich auf der öffentlichen Politik und dem Meinungsaustausch dienen sollte. Trotzdem kann man an den beiden Beispielen sehen, wie in der BVV überparteiliche Kompromisse aller demokratischen Fraktionen gefunden wurden, um eine breite Front gegen Rechts zu bilden. Ein weiteres aktuelles Projekt und Anliegen ist, den Platz vor dem ehemaligen Kriegsverbrechergefängnis umzubenennen in den Platz der Weißen Rose.
Marlene Jahn von der Grünen Jugend Spandau berichtete, dass Rechtsextremismus in Spandau häufig sichtbarer sei, da es im Vergleich zu anderen Berliner Bezirken weniger sichtbare Gegenbewegungen gäbe. Sie erzählte, dass sich die Grüne Jugend in Spandau auch deshalb im letzten Jahr besonders mit Rassismus, Projekten gegen Rechtsextremismus und Initiativen aus diesem Bereich beschäftigt hat.
Im Kontext der Raumvergabe auf der Zitadelle wurde vom Podium angemerkt, dass dies auch in anderen Berliner Bezirken seit Erstarken der AfD eine große Rolle spiele. Hier muss das Ziel sein, rechtsextremen und menschenverachtenden Äußerungen keinen Raum zu bieten. Gleichzeitig gilt für Bezirkseigentum natürlich das Gleichbehandlungsgebot, weshalb bestimmte Parteien nicht einfach ausgeschlossen werden können. Eine Möglichkeit, die diskutiert wurde und noch weiter vertieft werden könnte, wäre ggf. eine Hausordnung, die bestimmte Positionen innerhalb der Räumlichkeiten verbietet. Hier wird auch wieder deutlich, dass es wichtig ist, sich mit anderen Bezirken zu vernetzen und gemeinsame Lösungen zu finden, da es in vielen Bezirken ähnliche Problematiken und Dynamiken gibt.
Wir möchten uns herzlich bei unserem tollen Podium bedanken – wir haben uns gefreut, so viel fachliche Expertise in dieser Diskussion vereint zu haben!